Der Praktikant, Teil 1

Der Grund, warum ich in Schleswig mit einem Staubsauger in der Hand über einen gigantischen Tisch auf Socken krieche, liegt ein paar Monate zurück.

 

Oktober 2018, irgendwo zwischen Kalkan und Kekova: Mit bis zu 40 Knoten zerrt der Westwind in der gerefften Genua, die Dilly-Dally tanzt auf den hohen Wellen, die sich über viele Meilen aufgebaut haben. Die Sonne lacht mit Kai-Uwe um die Wette. „Ist das geil“, sagt der Freund aus Norderney immer wieder. Der Strand von Kaputas fliegt vorbei, wir steuern auf Kastellorizo zu, die östlichste griechische Insel, in der Ferne klettern weiße Häuser die Straßen von Kas empor. Ein fantastischer Segeltag. Nur Sven kann ihn nicht wirklich genießen. Seine Augen kleben an der alten Genua, den spröden Nähten, dem flatternden UV-Schutz. Vor seinem inneren Auge sieht er das alte Tuch in Fetzen reißen, sich bei neun Windstärken die Reste bergen. „Du weisst schon, dass das alte Segel auch ein Sicherheitsrisiko ist“, mahnt er und vermiest ein bisschen die Euphorie. 

 

Kurz nachdem ich die Dilly-Dally in Marmaris gekauft hatte, waren Kai-Uwe Eilts und Sven Kraja mir nachgereist, um mit mir die Moody 425 von Marmaris nach Kas zu segeln. Ein Segen für mich. Die beiden sind nicht nur seit vielen Jahren sehr gute Freunde vom Strandsegeln, mit denen ich in einem umgebauten ehemaligen Linienbus (dem legendären Frogsail-Bus) zu mehreren Europa- und Weltmeisterschaften in England, Frankreich und Belgien gefahren bin. Sie sind auch vom Fach.

 

Erfahrene Segler, die auf der Norderneyer Werft Dübbel & Jesse gearbeitet haben. Zudem ist Sven Segelmacher in Schleswig. Mit seinen Frogsails stattet er nicht nur viele Yachten aus und hat an Projekten wie der „Bente“ mitgewirkt, auch vertrauen die besten Strandsegler der Welt auf seine innovativen Segel. Das beste Aushängeschild für die Klasse seiner Segel ist er selbst: Sven ist zigmaliger Deutscher Meister, seine Karriere krönte er mit dem Weltmeistertitel 2012. Das hat vor ihm (und auch nach ihm) noch kein deutscher Strandsegler geschafft.

 

Als wir in Marmaris lossegelten, graute mir ein bisschen vor dem Moment, in dem wir die Segel setzten - oder besser ausrollten. Das Rollgroß so bleich und faltig wie die Haut eines Hundertjährigen, das Profil so zusammengefallen wie die Wangen, wenn das Gebiss ein Kukidentbad im Glas auf dem Nachttisch nimmt. Nähte wie Narben. Und die Genua sah nicht viel anders aus. Svens Einschätzung kam nicht überraschend: „Du brauchst neue Segel.“ Mein Vorschlag, er könne mir ja welche bauen, stieß auf taube Ohren. „Hier gibt es doch überall Segelmacher. Die machen das doch sicherlich nicht schlecht. Und sind bestimmt billiger.“ Da die Segel der Dilly-Dally auch nicht gerade klein sind, würde seine ganze Segelmacherei unter dem markanten Wikingturm in Schleswig gelähmt sein.

 

Aber dann kam irgendwann der Abend, an dem wir noch mal eine alte Idee aufgriffen. Schon vor Monaten hatte ich Sven gefragt, ob ich nicht vielleicht mal eine Art Praktikum in seiner Segelmacherei machen könnte. Als Islamwissenschaftler und Journalist ist mein handwerkliches Geschick, vorsichtig ausgedrückt, ausbaufähig. Doch gerade wenn man auf einem Schiff lebt, kann es nicht schaden, Reparaturen jedweder Art selbst in Angriff zu nehmen - und überhaupt erst einmal ein grundsätzliches Verständnis für den Bootsbau zu bekommen. 

 

Als begeisterter Handwerker fand Sven die Idee gar nicht mal so schlecht, auch um zu zeigen,  wie kompliziert und aufwändig es ist, Segel zu fertigen. Keine Massenware, sondern individuell angefertigte Einzelstücke, abgestimmt auf Zweck, Revier und Portemonnaie. An diesem Abend kam nach ein paar Bieren die Idee auf, wenn ich denn ein Praktikum machen wolle, dann könnten wir ja auch gleich Segel für die Dilly-Dally bauen. 

 

 

Seitdem spukte der Gedanke in meinem Kopf umher, Sven hoffte wohl, ich würde ihn vergessen. Doch da hatte er sich getäuscht. Und so bestieg ich Ende Januar den Flieger, um mit 46 Jahren noch einmal ein Praktikum zu machen….. (to be continued)

 

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