Die Dilly-Dally-Diaries

Den Soundtrack zum neuen Lebensabschnitt liefert das Ploppen der Flip-Flops an den nackten Füßen. Es ist ein gleichmäßiger Takt, ruhig, ohne Hast und Hetze, angepasst an die Umgebung, an das Plätschern der Wellen am Ufer, an das Schlagen der Falle an den Masten im Hafen. Das Quietschen der Fender zwischen den Booten klingt wie eine Bratsche, die hin und wieder für dramatische Soli sorgt. Das Heulen der Böen, die abends von den Bergen brechen, wenn die Sonne, glutrot und aufgedunsen wie heißer Quarzsand von einem Glasbläser, sich im Meer versenkt, erinnert an einen Chor. Es hört sich gut an. Und es fühlt sich noch viel besser an. 

 

 

Zwölf Stunden habe ich gepennt. So lange wie seit Jahren nicht mehr. Und das erste, woran ich denke, ist das gleiche, woran ich dachte, als ich einschlief. Eine schöne heiße Tasse Instantkaffee. Eineinhalb Löffel, heißes Wasser und ein Schuss Milch. Für mich schmeckt der einfachste aller Kaffees nach Segeln. So wie Delial nach Sommerurlaub riecht. Aber niemals wäre ich auf die Idee gekommen, in meiner Berliner Altbauwohnung mir morgens einen Instantkaffee zu kochen. Da musste es ein Milchkaffee sein. Aufgeschäumte Milch auf einem Espresso mit der perfekten Crema, natürlich aus einer italienischen Siebträgermaschine. Der Ablauf war automatisiert. Aufstehen, auf dem Weg ins Badezimmer die Maschine aufheizen, dann Kaffee, Kippen, Klo. Der Genuss blieb auf der kurzen Strecke. Routine statt Ritual. 

 

Auf einem Boot ist das anders. Routine gibt es nicht, kann es gar nicht geben. Denn kaum etwas ist planbar. Der Luxus, den viele mit einem Leben an Bord verbinden, ist sicher nicht Komfort. Denn an Bord, auch wenn mein neues Zuhause mit knapp 43 Fuß komfortabel ist, ist alles eng - und umständlich. Der wahre Luxus liegt aber genau darin: der Entschleunigung. Und dem Selbstverständnis, dass nicht alles selbstverständlich ist.

 

Das Gas kommt aus einer Katusche, die auch mal leer ist. Das Wasser aus einem Tank, der befüllt werden muss. Verschwendung wird bestraft - durch Extraarbeit. Den Strom liefert die Sonne, und wenn die nicht scheint, bleibt der Kühlschrank warm. Also achtet man automatisch auf den Stromverbrauch. Der Antrieb ist der Wind, der weht wie er will. Mal stark, mal gar nicht. Und wenn doch, dann aus der falschen Richtung. Die Natur bestimmt die Route. Das ist der Reiz. Oder vielmehr der Anreiz. Man fühlt sich plötzlich klein, und dieses Gefühl ist ganz groß. Kleine Dinge werden zum großen Genuss, weil sie nicht mehr selbstverständlich sind. Wie der Instantkaffee. 

 

Mittlerweile habe ich mein durchgetaktetes Leben vor sechs Wochen verlassen. Jahrelang hatte ich den Takt geliebt. Erst trieb er mich an, dann dann vor sich her. Und als ich nicht mehr mithalten konnte, strauchelte ich. Und irgendwann fiel ich auf die Schnauze. Nur weil ich (im übertragenden Sinne) einen 100-Meter-Lauf in Bestzeit laufen konnte, glaubten andere (und auch ich), dass 200 Meter doch auch im gleichen Tempo zu schaffen sein müssten. Irgendwann wurde daraus ein Marathon, den ich spurten wollte. Hinzu kamen immer neue und immer mehr Aufgaben. Nein-Sagen empfand ich als Schwäche. Hinzu kam sicherlich auch ein übersteigertes Ich. Wenn ich etwas selber machte, dachte ich, wird es wenigstens vernünftig gemacht. Hochmut kommt eben vor dem Fall.

 

Um wieder geerdet zu werden, beschloss ich aufs Wasser zu gehen.

 

Als ich Ende August die Tür zu meiner Wohnung in Berlin zuzog, war das mehr als ein normaler Auszug. Allein schon deshalb, weil ich die Wohnung mit allem Inventar verkauft hatte. Selbst die Bilder und sogar Fotos vom Strandsegeln, gedruckt auf Alu-Dipond, wollte der Käufer behalten. Alles, was ich von den vergangenen 46 Jahren mitnahm, passte in einen Golf. Ein paar Klamotten zum Anziehen, Laptop und Kamera und ein kleiner Gummikopf, der je nachdem wie man ihn knetet, Grimassen zieht. 

 

 

Ich hatte vermutet, dass mich die Wehmut packen würde, als ich die Wohnung wie zu einem Wochenendtrip verließ. Aber da war: nichts! Außer Erleichterung. Ich hatte erwartet, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem ich zweifele, ob die Entscheidung einen festen Job zu kündigen, die richtige war. Er kam nicht. Als ich dann kurze Zeit später zusammen mit einem Freund in die Türkei reiste, um ein Boot zu kaufen, und ich die Dilly-Dally fand, war ich emotionslos glücklich. 

 

Wahrscheinlich, weil ich keine Minute an meiner Entscheidung zweifelte, und mir klar war, dass sich eins zum anderen fügen wird. Die Begeisterung kam erst kurze Zeit später. Zurück in Deutschland.

 

Zwei Wochen verbrachte ich bei der Strandsegel-Weltmeisterschaft in Sankt Peter-Ording, wohnte mit wirklich tollen Freunden zusammen. Zum ersten Mal nahm ich an den Wettkämpfen selbst nicht teil, sondern widmete mich ganz der Pressearbeit. Es war noch ein Mal wie ein Ausflug in das alte Ich. Schon früh morgens klingelte das Telefon und verstummte erst am späten Abend. Von früh bis spät stand ich unter Strom. So ziemlich jeder Fernsehsender berichtete über die WM. Es war der Lohn einer jahrelanger Aufbauarbeit. 

 

Keine 48 Stunden nachdem ich Sankt Peter-Ording verlief, stieg ich in den Flieger. Um 1.15 Uhr am Dienstagmorgen stand ich am Flughafen Hannover. Der Check-in war eine Katastrophe, die Passkontrolle überlastet. Zwei Stunden dauerte das Prozedere. Es störte mich nicht. Ich war froh dieser hektischen Welt zu entfliehen.

 

Als ich am nächsten Morgen in Bodrum landete, hatte ich - mit Unterbrechungen - vielleicht eine halbe Stunde geschlafen. Von Müdigkeit aber keine Spur. Eineinhalb Stunden dauerte die Fahrt mit dem Mietwagen nach Marmaris. Jeden Kilometer quer durch die Berge und in Serpentinen entlang des Meeres konnte ich genießen. 

 

Die Dilly-Dally hatte ich über die Agentur Sunbird gekauft. Das Büro war auch am Dienstagmorgen meine erste Anlaufadresse, alle Unterlagen waren dort. Der Kauf war problemlos verlaufen. Peter, der Yacht-Broker, ein hochgewachsener Mann, geboren in Sambia, ausgestattet mit feinem britischem Humor und der Gelassenheit eines Südländers, erwies sich als absoluter Glücksgriff.

 

Während ich in Sankt Peter-Ording weilte, überführte er die Moody 425, die vor Anker lag, in die Marmaris Yacht Marina am anderen Ende der Bucht, kümmerte sich um einen (preislich günstigen) Liegeplatz, vermittelte einen Mechaniker, der Davits anfertigen lässt und die Solaranlage montiert. Ich hatte Peter gefragt, ob ich ihn beauftragen könne, die Arbeiten zu organisieren. Er lehnte ab. Aber er könne mir helfen, in dem er mir drei verschiedene Anbieter vorstellte, die er für die besten halte.

 

So kam ich an Brian, einen Briten, der wie Peter schon seit Jahren in Marmaris lebt. Er machte mir einen verbindlichen Kostenvoranschlag mit mehreren Optionen, hielt mich bei jedem Schritt mit Bildern und Konstruktionszeichnungen auf dem Laufenden und riet mir sogar von meinen Plänen, eine überdimensionierte Solaranlage anzuschaffen, ab. Brian rechnete mir haarklein für jedes Gerät den Verbrauch vor - nur um zu dem Schluss zu kommen, dass eine kleinere Anlage mit 3 x 120 Watt schon mehr als genug für mich sei. Mit dem Office der Marina klärte er zudem bereits ab, wo und wann die notwendigen Schweißarbeiten ausgeführt werden können. 

 

Nach meiner Ankunft in Marmaris regelte Peter sofort den behördlichen Papierkram mit Transitlog, schickte seinen Mitarbeiter mit dem Polster aus der Navigationsecke los, das einen neuen Überzug braucht, empfahl Wäschereien außerhalb der Marinas, die deutlich günstiger sind, beriet mich, wie ich ich am billigsten Wifi aufs Boot bekomme. Zusammen recherchierten wir im Internet nach Routern und Preisen, ehe er mir den Weg zum Turkcell-Geschäft wies. Das alles, ohne dass ein einziger Cent an Peter fließt. Man kann sagen, es hätte schlechter laufen können.

 

Natürlich gibt es viel zu tun an den ersten Tagen. Erst einmal schauen, was eigentlich alles, wo auf dem Boot verstaut ist. Denn der Vorbesitzer, Hugh aus Südafrika, der nach Hongkong zieht, hat das Boot so verlassen, wie ich meine Wohnung: mit zwei Koffern. Umräumen, aufräumen, wegschmeißen. Gut ein Container ist schon gefüllt worden. Ansonsten erst mal ankommen. Der Beach Club im Hafen bietet da eine hervorragende Anlaufadresse. Und Wlan - solange der Anschluss auf der Dilly-Dally noch nicht freigeschaltet ist. Ich hoffe, dass Turkcell da schneller ist als die Telekom. Aber ich bin guter Dinge. Den auch die Abfertigung am Flughafen haben die Türken besser drauf als die Deutschen.

 

 

„Und, wie war die erste Nacht auf dem Schiff.“ Diese oder so ähnliche Nachrichten erreichten mich gestern etliche. Ich las sie, nachdem ich den Instant-Kaffee getrunken hatte. Falls ich nicht alle beantwortet habe: „Wie ein Stein!“ 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0